In der populärwissenschaftlichen Literatur
tauchen auch immer wieder die rätselhaften Totenschädel aus
Bergkristall auf, deren Herkunft und Herstellung mysteriös und
ungeklärt sein soll. Allen möglichen und unmöglichen Kulturen wurden
sie schon zugeschrieben, bis hin zum sagenhaften Atlantis. Seit 1898
liegt im Britischen Museum, im Museum of Mankind, ein Kristallschädel,
den schon unzählige Besucher bestaunt haben.* Damals soll der Schädel in
Mexiko aufgetaucht sein und er soll von den Azteken stammen.
Er ist schon mehrmals untersucht worden und
trotz einiger Zweifel ist seine Echtheit nicht wirklich bestritten worden - bis zum Jahr 2005, als
britische und amerikanische Wissenschaftler verkündeten: " Er ist eine Fälschung!".
Ethnologen vom Britischen Museum haben zuvor festgestellt, dass der Schädel zwischen 1300 und 1500 n. Chr.
angefertigt worden sein könnte. Er hat eine Größe von 210 mal 136 x
148 mm und er wiegt etwa 5 kg. Im 15. Jahrhundert n. Chr. soll es
unter der Herrschaft von Moctezuma I. eine Blütezeit der aztekischen
Handwerker gegeben haben, die angeblich im Stande gewesen sein sollen
einen derartigen Schädel herzustellen. "Die Goldschmiede gehörten, wie
die Edelsteinschneider und Steinmetzen, der privilegierten Klasse an
und bildeten eine eigene Zunft", schrieb z. B. Viktor Hagen 1962 in seinem
Buch "Sonnenkönigreiche".
Bei der Verarbeitung von Edelsteinen,
beschäftigte Moctezuma I. z. B. geschickte Steinschneider und aus der
mixtekischen Periode von Monte Alban (ab 1125 n. Chr.), stammt eine
Goldkette, die unseren modernen um nichts nachsteht. Sie wurde mit den
dazupassenden Ohrgehängen, in einem Grabmahl eines mexikanischen
Häuptlings, im Jahr 1831, von Dr. Alfonso Gaso entdeckt.
Im Jahr 1924, 1927 oder 1928 findet ein
junges Mädchen, angeblich inmitten von Maya-Ruinen, in Lubaantun, in British-Honduras
(heute Belize), einen Kristallschädel, der
wohl in den vergangenen Jahrzehnten die meiste Aufmerksamkeit erregte.
Der inzwischen als "Kristallschädel von Lubaantun" durch die
esoterische und populärwissenschaftliche Literatur gehende Totenschädel hat eine ähnliche Größe
wie jener im Britischen Museum: nämlich 203 mal 139,7 mal 152,4 mm und
er wiegt genau 5,75 kg. Seither werden besonders diese beiden Schädel
aus Quarzkristall miteinander verglichen.
Das Madchen war Anna, die
Adoptivtochter von Frederick A. Mitchell-Hedges, der 1954 in seiner Autobiographie
"Danger My
Ally" ("Die Gefahr ist mein Gefährte") einen "Schädel der Verdammnis" ("Skull of Doom")** aus
Quarzkristall erwähnt, der mindestens 3600 Jahre alt sein soll und
dessen Anfertigung laut Experten über 150 Jahre gedauert haben müsste.
Er ist die "Verkörperung des Bösen" ("The embodiment of all evil")
und er wurde von den Hohen Priestern der Maya für esoterische Riten
verwendet. Wie er in seinen Besitz kam, wollte er nicht sagen, er habe
gute Gründe dafür ("How it came into my possession I have reason for
not revealing"). Nach anderen Angaben soll er ihn in den 1930er Jahren
irgendwo in Mesoamerika gefunden haben, jedenfalls löste er damit eine
Welle von Spekulationen aus.
Als Frederick Mitchel-Hedges 1959 starb, kam seine Adoptivtochter Anna
in den Besitz des Schädels.
Im Jahr 1936 erfolgte eine
Untersuchung der beiden Schädel am Anthropologischen Institut von
Großbritannien und Irland.. Damals war der Schädel von Mitchel-Hedges allerdings im Besitz
des Londoner Kunsthändlers
Sydney Burney, der ihn 1933 in Mexiko erworben hatte und ihn für die Untersuchung zur Verfügung stellte. Dr. G. M. Morant
stellte fest, dass beide Schädel von einem unbekannten Original
kopiert wurden und offenbar weibliche Züge aufweisen. Beide Schädel
wurden aber von verschiedenen Handwerkern angefertigt, wobei der
Bearbeiter des Schädels von Burney bessere Kenntnisse in Anatomie
gehabt haben muss. Die Ergebnisse wurden in der monatlichen
Zeitschrift Man, des Instituts, im Juli 1936 veröffentlicht.
Im Jahr 1964 bat Anna Mitchell-Hedges
den amerikanischen Restaurator und Konservator Frank Dorland, ihren
angeblichen Fund
zu untersuchen und ihn nach Alter und Herkunft prüfen zu lassen.
Dorland wusste, dass es im Britischen Museum einen ähnlichen Schädel
gab und er bezog auch die Untersuchung von 1936 mit ein. Er übergab
den Schädel den Laboratorien von Hewlett-Packard. Der Leiter des Kristalllabors, Jim Pruett, stellte schließlich fest, dass Kopf und
Unterkiefer ursprünglich aus einem Stück gefertigt und erst später
getrennt worden waren. Er kam zu dem Ergebnis, dass der Schädel durch
Schlageinwirkung modelliert worden war, er fand jedoch keinerlei
Spuren einer maschinellen Bearbeitung. Dorland, der in mühevoller
Kleinarbeit die ganze Oberfläche mikroskopisch untersuchte, kam zum
gleichen Ergebnis.
Die zwei Kristallschädel. Oben der angebliche
Azteken-Schädel aus dem Britischen Museum, unten der Mitchel-Hedges-Schädel
(Quelle: Man, 1936)
Adrian Digby, der gemeinsam mit Dr. Morant die
beiden Schädel 1936 untersucht hat, kam auch zu der Ansicht, dass
beide Schädel nicht vom gleichen Handwerker stammen können und dass es
aufgrund der Bearbeitung nicht möglich ist festzustellen, ob die
beiden Schädel mit primitiven oder modernen Werkzeugen hergestellt
wurden. An den Zähnen erkennt man keine Spuren eines
Diamantenschleifers moderner Bauart, jedoch sind alle bisher
gefundenen Schädel im aztekischen Bereich, in den Augenhöhlen, eher
mit dem Aztekenschädel als mit dem Lubaantun-Schädel identisch. Digby
stellte auch fest, dass eher der Schädel aus dem Britischen Museum als
der von Mitchel-Hedges von den Azteken gemacht worden sein konnte. Beide
Schädel sind jedoch aus reinem Quarzkristall. Sie unterscheiden sich
aber im Bereich der Augenhöhlen, der Nasenhöhle, des Jochbeins, der
Stirn, der Zähne und des Kiefers, wobei der Kiefer des Lubaantun-Schädels lose und abnehmbar ist.
Frank Dorland stellte 1964 fest,
falls der Lubaantun-Schädel poliert worden sein sollte, dann müsste das
unter großer Hitzeeinwirkung von 1500 bis 1600 Grad Celsius geschehen
sein. Ob das die Maya bereits imstande waren, muss bezweifelt werden,
so Dorland. Den Azteken wäre das eher zuzutrauen. Sie begannen etwa ab
dem 11. Jahrhundert n. Chr. mit der Metallverarbeitung und konnten
Gold und Kupfer in einem mit Holzkohle geheizten Ofen, den ein Mann
mit einem Blasrohr anfachte, schmelzen, wobei sie eine Temperatur um
1000 Grad Celsius erreichten. Auf diese Weise könnten die Azteken
einen Klumpen Quarzkristall hergestellt haben, den sie dann später
bearbeiteten, so die Meinung von Frank Dorland.
Dorland schätzte das Alter des Lubaantun-Schädels auf zwischen 1000 bis 12.000 Jahren, er vertrat
jedoch gemeinsam mit Richard Gavin die Meinung: "Ich kann nicht
beweisen, dass der Schädel nicht in den letzten fünfhundert Jahren
hergestellt wurde, um irgendeinem Potentaten eine Freude zu machen,
einem königlichen Diktator, der einen Hang zum Okkulten hatte."
Im Jahr 1982 untersuchte der Edelsteinexperte
Dr. Rudolf Distelberger, von der Wiener Schatzkammer, den
Kristallschädel von Mitchel-Hedges. Anna Mitchel-Hedges war persönlich in
Wien und stellte den Schädel dem Experten zur Verfügung. Dr.
Distelberger konnte unter dem Mikroskop eindeutig Schleifspuren an der
Oberfläche erkennen, die mit einem modernen Werkzeug entstanden sein
müssen, wie er mir am 4. März 1982 während eines Besuchs bei ihm
persönlich mitgeteilt hat. Er schätzte, dass der Schädel in Deutschland, in
Idar-Oberstein, angefertigt worden sein könnte, wo es schon vor
Jahrhunderten entsprechende Bearbeitungstechniken gab, "am ehesten in
den letzen 60 bis 70 Jahren". Ein derartiger Schädel könnte aber
durchaus auch schon im 16. Jahrhundert in einer Mailänder Werkstatt
angefertigt worden sein.
Experten vom Nationalen Museum von Amerika,
innerhalb der Smithsonian Institution, in Washington D. C., entdeckten 1992, dass einige der Kristallschädel, die angeblich aus
Mittelamerika stammen sollen, vom französischen Antiquitätenhändler Eugéne Boban stammen, der in
den 1880er Jahren in Mesoamerika mit diversen antiken Gegenständen
handelte.
Vor allem
die Anthropologin Jane MacLaren Walsh hegte erhebliche Zweifel an der Echtheit der Schädel.
Im Jahr 2005 verkündete Prof. Ian Freestone
von der Universität Cardiff, dass der Schädel aus dem Britischen
Museum offenbar eine gute Fälschung ist. Die Oberfläche wurde mit
einem rotierenden Werkzeug bearbeitet und poliert. Derartige Werkzeuge
kannten die Azteken nicht. "Die Form des Schädels erhält man nur mit
einem modernen Gerät", so Prof. Freestone.
Schon im 16. Jahrhundert gab es eine
Glasschleiferfamilie, die auch mit Bergkristall arbeitete und so
hervorragende Objekte geschaffen hatte, die in ganz Europa verbreitet
wurden. Es war die Familie Miseroni, die in Mailand und Prag jeweils
eine Werkstatt hatte. Mit riesigen Rädern wurden hohe
Rotationsgeschwindigkeiten an den Werkzeugen erreicht um die harten
Kristalle bearbeiten zu können. Damals konnte man schon durchaus
hochwertige Kristallschädel herstellen.
Gemälde von Karel Skreta (1610 - 1674),
Nationalgalerie, Prag.
So wie es aussieht, ist der
vermeintliche Azteken-Schädel im späten 19. Jahrhundert angefertigt
worden, vermutlich von einer deutschen Edelsteinwerkstatt in
Idar-Oberstein. Irgendwie kam der Schädel 1881 in die Hände
des Antiquitätenhändlers Eugéne Boban, der ihn als mexikanisch
ausgab. Er verkaufte den Schädel 1886 bei einer Versteigerung in Paris
an einen Mr. Ellis um 950 Dollar. 1890 war der Schädel offenbar im
Besitz eines gewissen George Sission (oder Sissin) aus New York. 1898
hat ihn
das Britische Museum
bei Tiffany & Co. in New York
erworben und ihn ausgestellt, wo er sich noch heute befindet.
Für Prof. Freestone ist der Schädel
im Britischen Museum aber
durchaus "ein phantastisches Objekt, selbst wenn es in Deutschland
angefertigt worden sein könnte".
Auch der Kristallschädel von Mitchell-Hedges scheint
aus dieser Quelle in Europa zu
stammen, vermutlich sogar aus dem 20. Jahrhundert, wie Jane MacLaren
Walsh meint, wenngleich es bisher dafür keine eindeutigen Beweise
gibt. Es gibt aber starke Indizien für eine europäische Herkunft und wie Mitchel-Hedges zu ihm kam. 1936 war
der Kunsthändler
Sydney Burney im Besitz des Schädels. 1943 bot er ihn bei Sotheby's
in London zur Versteigerung an,
was aus dem Ausstellungskatalog vom 15. Oktober 1943 hervorgeht, und
wo ihn Mitchel-Hedges erworben hat, was belegt ist. Nach seinem Tod 1959 ging
der Schädel in den
Besitz seiner Adoptivtochter Anna über.
In den 1960er Jahren kam Anna Mitchel-Hedges verstärkt mit ihrer Geschichte, dass sie
den Schädel zwischen 1926 und 1927 in Maya-Ruinen, in Lubaantun, gefunden hatte, an die
Öffentlichkeit. Am 25. März 1972 gab sie dazu eine schriftliche
Erklärung, ein Statement, ab und erwähnt einen "Capt. C. C. Joyce" vom
Britischen Museum, der damals mit ihr in Lubaantun war, doch es gibt
einen britischen Anthropologen namens T. A. (Thomas Athol) Joyce, der
1927 mit einem Team der Royal Geographic Society in Belize und
Lubaantun war, dort jedoch keinen Kristallschädel gefunden hat. Er war
aber 1936 an der Untersuchung des Kristallschädels vom Britischen
Museum beteiligt, was aus der Zeitschrift Man hervorgeht. Anna
meint, Burney habe ihrem Adoptivvater den Schädel abgekauft, dieser
ihn dann wieder bei der Versteigerung um 400 Pfund zurückgekauft. Das
ergibt aber wenig Sinn und widerspricht den Aussagen jener, die damals
tatsächlich und nachweislich in Lubaantun waren.
Neueste Untersuchungen mit dem
Elektronenmikroskop, mit Lasertechniken, mittels Holographie, EEG und
plastischen Gesichtsrekonstruktionen an einer originalgetreuen
Nachbildung des Mitchel-Hedges-Schädels (Doku "Das Geheimnis der
Kristallschädel", 2011),
bestätigen erneut, die schon im Jahr 1936 durch das Britische Museum und Dr. Morant,
und im Jahr 1982 von
Dr. Distelberger, und im Jahr 2007 durch das Smithsonian
Institute und Jane MacLaren Walsh*** festgestellten Ergebnisse, dass der Mitchel-Hedges-Schädel
höchstwahrscheinlich in einer europäischen Werkstatt, Anfang des 20.
Jahrhunderts, hergestellt wurde. Es wurde auch, wie schon früher,
festgestellt, dass er europäische und weibliche Merkmale aufweist.
Das Geheimnis der Kristallschädel, N24, 2014.
Wenn man sich den Fundort ansieht, dann muss
man sich wundern, dass der Schädel völlig unbeschädigt ist. Die beiden
Teile wurden von Anna Mitchell-Hedges angeblich getrennt aufgefunden.
Nach ihrem Tod im Jahr 2007 ging der Schädel in den Besitz von Annas
Witwer Bill Homann über, der ihn von Jane MacLaren Walsh untersuchen ließ.
Die Kristallschädel sind neuerdings auch durch
den Hollywoodfilm "Indiana Jones und das
Königreich des Kristallschädels" populär geworden, der 2008 in die Kinos kam.
Tatsache ist jedenfalls, dass es zahlreiche kleinere und
größere Schädel aus Quarzkristall und Lapislazuli aus verschiedenen
Kulturen gibt, die vielfach für kultische Zwecke benutzt wurden. Sie
scheinen aber nicht viel mehr als 500 Jahre alt zu sein, wenngleich
sie schwer zu datieren sind. Relikte von einer Jahrtausende alten
unbekannten Kultur oder von außerirdischen Intelligenzen sind sie
jedenfalls nicht.
*) Ich konnte mich 1979 bei
einem Besuch in London persönlich davon überzeugen.
**) In
späteren Ausgaben von "Danger My Ally" nach 1954 wurden diese Textstellen
gestrichen, im Jahr 1995 aber durch Anna Mitchel-Hedges wieder
eingefügt, mit einem Foto vom Kristallschädel. Frederick Mitchel-Hedges
hat angeblich auch in einigen Radiointerviews den "Schädel der Verdammnis" erwähnt,
seinen Kristallschädel aber nie präsentiert und nie untersuchen
lassen. Er hatte ihn auch nicht in Lubaantun gefunden, und er sagte
auch nie, dass ihn Anna dort gefunden hatte, er war aber nachweislich 1924 in Lubaantun
bei Ausgrabungen, nicht jedoch 1927 oder 1928.
***) Für
Jane MacLaren Walsh ist die Nachbildung sehr gut gelungen und man kann
durchaus Rückschlüsse auf das Original ziehen, das für diesen Film
nicht zur Verfügung gestellt wurde.
Das Kapitel dazu aus meinem Buch
"Irrwege der Geschichte", 1981.
Digby, Adrian: Comments
on the Morphological Comparison of Two Crystal Skulls,
Man, Vol. 36, Jul., 1936 (Jul., 1936), pp. 107-109.
Dorland, Frank: Der
Kristallschädel von Lubaantun, in: Antike Welt, 3/1975.
Garvin, Richard M.: The
Crystal Skull, New York 1974.
Habeck, Reinhard; Dona,
Klaus: Im Labyrinth des Unerklärlichen, Rottenburg 2004.
Hagen, Victor W. v.:
Sonnenkönigreiche, München-Zürich 1962.
Hain, Walter: Irrwege
der Geschichte, Wien 1981.
Hain, Walter:
SAETI - Die Suche nach Artefakten von außerirdischen Intelligenzen,
Norderstedt 2013.
Morant, G.M.:Man
- A monthly record of anthropological science, published under the
Direction of the Royal anthropological Institut of Great Britain, July
1936.
TV/Film-Dokus:
Das
Geheimnis der Kristallschädel
Director and Producer Paul
Nelson
by Zig Zag
Productions for National Geographics Channels
(c) 2011
The legend
of the Crystal Skulls
Director Peter
Nicholson
Picture Films
for Smithsonien Networks
and National
Geographic Channel
(c) 2008
Im Internet:
The mystery of the
British Museum's crystal skull is solved. It's a fake
"Frederick Mitchell-Hedges
was not at Lubaantun in 1928, nor was Anna. The British Museum
archaeologist J. Eric S. Thompson was at the site in 1927 and
1928."